Enduro 2003 ins Piemont

Im Januar 1984 las ich das erste Mal vom Mont Chaberton in den Westalpen in der Zeitschrift "Motorrad Reisen". Die Reportage war hervorragend fotografiert, und ich war begeistert. Durch wiederholten Mangel an Zeit und Geld mußte ich die Tour leider fast 20 Jahre verschieben. Bernd und ich fuhren Ende September für eine Woche los, um auf dem Schotter das Fürchten zu lernen. Die Vorbereitung erfolgte mit dem Denzel ("Alpenfahrerbibel") und Reportagen aus dem (mittlerweile)Tourenfahrer. Mittlerweile bequemer geworden wurden die 1200 km Anfahrt nicht "zünftig und hart" auf den schmalen Sitzbänken der Enduros zurückgelegt, sondern weich im Auto mit Anhänger. Die Anreise war dann auch sehr schnell und angenehm. Solange die Anfahrt mit dem Autoreisezug mehr als 300 EUR pro Person in die Nähe des Zielgebiets kostet, werde ich das Auto dem Zug wieder vorziehen.

Da ich bei der Planung nicht mit der beachtlichen schweizer Geschäftstüchtigkeit rechnete, hielten wir an der Grenze um die Vignette zu erwerben. Die Antwort auf die Frage, was denn die Maut für so einen kleinen Anhänger koste, erinnerte uns an die Erzählungen von Alpendurchquerungen vergangener Jahrhunderte. Heute wird man nicht mehr von räuberischen Banden eines Bergvolkes in den Tälern überfallen, sondern direkt an Grenze wird ein Schutzgeld erhoben. Der Anhänger kostete die volle Maut wie für einen PKW im Jahr! Mit unserem Gespann durtfen wir die Schweiz für 59,- EUR passieren.

Als man uns abends in Frankreich am Tunnel von Frejus 36,- EUR für die kommenden 15 km unterm Berg abnehmen wollte, baten wir den netten Herrn an der Kasse, er möge den hinter uns stehenden Fahrzeugen Zeichen geben zurückzusetzen. Wir nahmen den Weg über den Col du Galibier. Am nächsten Tag bezogen wir unseren Campingplatz in La Vachette bei Briancon. Später erfuhren wir, das etwas höher im Tal ein (fast) geschlossener Platz liegt, der noch bis Ende September kostenlos genutzt werden kann. Allerdings sind nur noch die Toiletten offen und kaltes Wasser verfügbar.

Um den Nachmittag zu Nutzen fuhren wir zur Einstimmung zum Col de Granon. Eine enge Teerstraße führt bis ins Militärgebiet zu einem Parkplatz. Ein stark verfallener Weg führte hinunter zu einem offenen Bunkergebäude. Der äußere Anschein trügte. Es ging etwa 5-10 Meter in einem Treppenhaus hinab und dann auf einer langen geraden Treppe noch einmal etwa 10 Meter hinunter. Dann ging es horizontal in den Berg hinein. Im schwachen Schein unserer kleinen Taschenlampen wagten wir uns aber nur knapp 50 Meter weiter in das sich nun verzweigende Kellersystem hinein. Nach diesem ersten Abenteuer war leider kein weiterer Weg legal befahrbar. Im Denzel steht aber, das die Militärschilder außerhalb der Manöverzeiten normalerweise keine Beachtung finden. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen als wir den Schotterweg in Richtung Fort l'Olive unter die Räder nehmen. Mit der Zeit nimmt der Spaß am Fahren deutlich mehr zu und verdrängt das schlechte Gewissen. Kurz vor dem Fort treffen wir einen Africa-Twin-Fahrer, der uns seine positiven Geländeerfahrungen mit der schweren Twin schildert. Auf unser Fragen zu dem schweren und teuren Gerät, erklärt er uns, daß man beim Geländefahren nicht zu sehr an dem Moped hängen dürfe. Dann ließe sich ein Sturz viel leichter verschmerzen. Danach wollten wir von Fort l'Olive zum Fort Lenlon hoch. Der Anstieg war steil, schmal und sehr grob geschottert. Auf der Hälfte der Steigung die Twin den Fahrer und sich selbst dann aber doch ziemlich unsanft in den Dreck. Dem Fahrer war glücklicherweise außer einer leichten Prellung am kleinen Finger nichts geschehen. Die Twin war jedoch mit der Verkleidung auf einen dolchartigen kleinen Fels gestürzt und als wir sie gemeinsam aufrichteten waren einige Löcher im Plastikkleid der Schönen. Auch wenn man nicht so sehr an seinem Moped hängen sollte, wurde doch das eine oder andere Auge feucht. Nun verließ unser Begleiter die "Wildnis" und wollte schnell Heim fahren. Wir erreichen nach dem fiesen Anstieg eine Hochebene mit dem Fort Lenlon. Die Abfahrt ging dann leichter hinunter in Tal. Das Ziel des nächsten Tages war der Col de Sommeiller.

Oberhalb des Städchens Bardonecchia führt eine kleine asphaltierte kurvenreiche Straße bis nach in einen kleinen Ort. Danach beginnt die Schotterpiste für knapp 30 km. Zunächst geht es das Tal entlang mit geringer Steigung. Am Ende des Tals geht es dann steil in etwa 5000 Kurven den Berg hinauf. Für untrainierte Menschen wie mich waren die zwei Fotopausen auch zum Entspannen der Oberschenkelmuskulatur notwendig. Außerdem kann man nur während der Pausen die wunderschönen Ausblicke hinreichend genießen. Wenige hundert Meter unter dem Ziel wird der Weg deutlich schlechter, die Steine immer größer und ich fühle mich immer mehr als Abenteurer. Als neben einer Wegverengung durch eine Hangrutschung jedoch ein Fiat Punto parkt, sinkt meine Selbsteinschätzung wieder auf normales Niveau.

Oben angekommen ist der Fernblick durch einige 3000er verstellt und die Ruine der ehemaligen Skibaude ist auch nichts Besonderes. Der Weg ist hier das (lohnende) Ziel. Während wir unseren mitgebrachten Kaffee genießen kommt sogar eine kleine Moto Guzzi California an. Nach einer Zigarettenpause bricht der Fahrer wieder auf und rutscht beim Anfahren weg. Arme Cali. Bernd und ich vergnügen uns noch etwas in Sandkasten für Große und begeben uns auch hinab. Auf halber Strecke treffen wir noch einmal den Cali-Fahrer, der nun besonders vorsichtig fährt. Man kann den Sommeiller demnach mit fast jedem Fahrzeug fahren, wenn man langsam genug fährt. Es sollte einem aber völlig egal sein, welchen Schaden es nehmen könnte.
Auf der Rückfahrt zum Basislager halten wir im Valle Echelle und schauen auf den Sommeiller zurück. Abends schlendern wir noch durch die Altstadt der höchstgelegenen Stadt Europas und nach dem Essen ab ins Zelt.

Heute soll es die Assietta sein. Nach fast einer Stunde kommen wir am Einstieg an und frieren schon. Jetzt wird uns erst bewußt, wieviel Glück wir bisher mit dem Wetter hatten. Wir fuhren beim Aufstieg direkt in die Wolken hinein und bis zum Col de Bogier sah man kaum die Hand vor Augen. Gefühlte Sichtweite und Temperatur: 5 m/°C. Am Tete d'Assiette klarte es leicht auf und änderte sich auch am Col de Finestre nicht mehr. Abwechslung brachte uns kurz vorher ein (Hüte-)Hund, der uns anscheinend seiner nicht sichtbaren Herde zuordnete und uns nicht ausreißen lassen wollte. Blieben wir stehen, war er ruhig. Fuhren wir an, explodierte er förmlich. Letzlich entkamen wir durch überraschende schnelle Flucht, die über seiner Höchstgeschwindigkeit lag.

Nach dem Finestre verließen wir die Wolken bergab nach Suza. Die Karte zeigte eine Kapelle Maddalena hinter dem Ort Frais. Dorthin führte eine neu ausgebaute, sehr zügig fahrbare breite Straße. In Frais sahen wir warum. Frais ist ebenfalls ein Wintersportort, nur ohne Betonburgen. Hinter Frais begann ein Schlammweg in Richtung Maddalena. Er führte in die Wolken. Einige Viertelstunden später tauchten aus dem Nebel einige kleine Hütten auf. Eine davon ist die Kapelle. Der Weg führte weiter bergauf und es wurde immer ungemütlicher. Wird es da vorn nicht heller? Kurze Zeit später lichteten sich die Wolken und die Sonne war an diesem zum ersten mal sichtbar. Jeder weitere Höhenmeter war nun reiner Genuß. Am unteren Teil von Fort Gran Serrin angekommen, genossen wir die Blicke zu allen Seiten in dem wunderbaren Licht. Als ein Schäfer seine Herde durch das Fort trieb, war die Idylle perfekt. Zum Sonnenuntergang fuhren wir ganz hinauf und beschlossen dort zu zelten. Ein erstklassiger Sternenhimmel in 2800 m Höhe war der krönende Abschluß dieses Tages. Die Temperatur sank nachts unter den Gefrierpunkt, aber mit 2 Schlafsäcken pro Nase war es trotzdem mollig warm im Zelt.

Am folgenden Morgen hatten wir schönstes Sonnenwetter und die Wolken hatten sich alle aufgelöst. Nach einem Cappucino im Tal, ging es über den Monte Pramand auf den Jafferau. Der in der Literatur beschriebene Tunnel ist ein Erlebnis. Stockdunkel, eng, naß und gebogen. So etwas habe ich nicht einmal in Norwegen gefunden. Der Weg bis zum unteren Fort am Jafferau ist recht einfach zu fahren. Der Anstieg zu den oberen Gebäuden ist mit schmalen senkrecht gesetzten Natursteinen gepflastert, die Moped und Fahrer gut durchschütteln. Es gibt zwar auch einen wilden Direktweg, der aber von verantwortungsvollen Menschen, die weiter denken können, als ein Schwein scheißt, nicht benutzt wird. Durch undiszipliniertes Fahren neben der Strecke, werden mittlerweile immer mehr Wege geperrt und sind nicht mehr legal befahrbar.


Italienische Gastfreundschaft!!!
oder der Schubser

Runter sollte es über die westliche Abfahrt auf dem verfallenen Versorgungsweg für eine Seilbahnstation gehen. Kurz bevor wir die Bergstation beim Hinunterfahren passierten, mißachteten wir ein Durchfahrt-Verboten-Schild, auf dem von Hand ein Motorrad eingezeichnet war. Um es vorwegzunehmen, das war ein Fehler! Wir fuhren den zum Teil völlig verfallenen Weg hinunter und stürzten auch das eine oder andere Mal. Auf der Hälfte angekommen, waren wir uns einig, daß wir diesen Weg nicht hinauf schaffen könnten. Als wir in einiger Entfernung an der Talstation vorbei fuhren, sah ich dort einen weißen Landrover stehen. Kaum 300 m weiter gefahren, hörten wir lautes Motorgeheul hinter uns und schon machte ich mitsamt Moped einen ordentlichen Satz nach vorn. Der Landrover war mir einfach hinten ins Motorrad gefahren. Glücklicherweise konnte ich mich auf einen steilen Absatz vor weiteren Angriffen retten. Der Wagen fuhr weiter und bremste Bernd aus. Ein Mann sprang heraus und schrie wild mit den Armen wedelnd auf uns ein. Bis auf die Wörter: "Scheiße Deutschlante. Scheiße Motorrate." war der Text in italienisch gehalten. Bernd verstand noch "Carabinieri" und mehr nicht. Der Schubser deutete den Berg hinauf und wir verstanden das er die Polizei holen würde, wenn wir nicht wieder zurück führen. Auf weitere Diskussionsversuche ging er nicht ein und zog ein Messer. Ich hatte mich noch nicht vom Schreck durch das Anschieben erholt, und in diesem Augenblick schien es uns als geringstes Übel den Berg wieder rauf zu fahren. Die Carabinieri in dem kleinen Dorf an der Talstation waren bestimmt gute Freunde vom Schubser. Er hätte sie wahrscheinlich ohne große Schwierigkeiten davon überzeugt, daß wir ihn angegriffen oder noch schlimmeres getan hätten. Meine persönlichen Erfahrungen mit der italienischen Ordnungsmacht ließen in solch einer Situation, eine kostenpflichtige Übernachtung am Ort erwarten (aber das ist eine andere Geschichte).

Alles in allem ein tolles Erlebnis mit für deutsche Verhältnisse ungeahnten Enduromöglichkeiten.